Kein Weg zurück

Fareshteh Ghadiri

Die 19-jährige Faresheth Ghadiri will im nächsten Jahr mit der Berufsfachschule beginnen und Pflegeassistenz lernen. Dafür muss sie zunächst noch ihren Hauptschulabschluss erlangen. Es ist ein langer Weg, der vor ihr liegt, doch das entmutigt sie nicht. Die letzten zwei Jahre haben sie vor viel größere Herausforderungen gestellt. Faresheth kommt aus Afghanistan. Genauer gesagt aus Kapisa, einer kleinen Provinz nordöstlich der Hauptstadt Kabul. Vor zwei Jahren mussten sie und ihre Familie aus ihrer Heimat flüchten. Grund war eine Zwangsverheiratung, die weder Faresheth noch ihre Eltern wollten: "Der Onkel meiner Mutter hat sehr viel Geld. Damit bekommt man in unserer Gesellschaft sehr viel Einfluss, auch in der Familie. Als ich die neunte Klasse beendet hatte, verlangte ihr Onkel von der Mutter, dass ich die Schule abbrechen und seinen Sohn heiraten sollte", erzählt sie. Eine Forderung gleich einer Drohung. Laut ihr sympathisierte dieser Sohn mit örtlichen Terroristen, war wohlmöglich ein religiöser Fanatiker. Für Faresheth  und ihre Familie war das beängstigend. Sich dem Willen des Onkels widersetzten? Angesichts von dessen Einfluss auf Polizei und Behörden keine Option. Noch schlimmer aber erschien die Aussicht auf ein Leben mit dem radikalen Sohn: "Eher hätte ich mich umgebracht", sagt sie heute bestimmt. "Meine Eltern haben uns Kindern immer viel Freiheiten gelassen. Wir gingen normal zur Schule. Eine solche Zukunft war nicht das, was sie für uns wollten." Aus Angst um die Kinder entschließt sich die Familie zur Flucht. Nach 1000 Kilometer Fußmarsch erreichen sie den Iran, von wo aus sie in die Türkei wandern. In Bulgarien müssen sie 20 Tage in einem Camp verbringen, bevor sie weiter nach Serbien dürfen; von dort aus bringt sie ein Bus nach Deutschland. Ähnliches musste die erst 17-jährige Shaghayeh Sultani durchmachen: Sie stammt aus der Hauptstadt Kabul, der mit rund 3,6 Millionen Einwohnern größten Stadt Afghanistans und sein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Ihre Situation war aber nicht einfacher: "Jeden Tag gab es Explosionen. Menschen starben. An Schule war überhaupt nicht zu denken", schildert sie . Die Angst um das eigene Leben und das ihrer Familie war steter Begleiter der damals 15-jährigen. "Egal wohin wir gingen, überall lauerte Gefahr." Gefahr besonders für die junge Frau: "Auf der Straße mussten wir Mädchen andauernd aufpassen, nicht auch die falschen Männer zu treffen. Keiner konnte sagen, was hätte passieren können." "Wir sind froh, dass wir alle gesund hier angekommen sind", sagt sie erleichtert.

Das Glück hatte Nasrin Mohammadi nicht. Ihre Mutter und zwei ihrer Brüder sitzen seit ca. einem Jahr in der Türkei fest. Sie wurden während der gemeinsamen Flucht vor zwei Jahren von den Behörden an einer Weiterreise gehindert. Nur Nasrin, ihr Vater und ein Bruder sind in Deutschland angekommen: "Jeden Tag denke ich an sie und bange um ihr Leben." Wie so viele andere flohen die Mohammadis wegen des Krieges aus Afghanistan: "Mein Vater arbeitete als Schneider in Kundus", erzählt die 18-Jährige. "Irgendwann kamen die Taliban in unser Haus und zwangen ihn, Kleidung für sie zu nähen." Ihr Vater weigerte sich, zum Missfallen der Terroristen. "Sie drohten, meinen jüngeren Bruder mitzunehmen", erzählt Nasrin, immer noch verängstigt. "Als er sich weigerte, schlugen sie ihn krankenhausreif." Auch für Nasrin wurde die Situation prekärer: "Ich musste die Schule abbrechen, es wurde einfach zu gefährlich." Irgendwann war die Angst zu groß, sie flohen. "Wir sind mittlerweile zum Christentum konvertiert. Nicht aus Angst, als Muslime nicht akzeptiert zu werden, sondern weil wir uns mit dieser radikalen Form nicht mehr identifizieren können", erzählt Nasrin. Alle 3 gehen in Deutschland zur Schule und wollen eine Ausbildung beginnen. Die Angst vor einer Abschiebung ist groß: "Wenn wir zurückgehen müssen, sind wir tot", sagt Nasrin.

Quelle: Schaumburger Zeitung

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