Man will es nicht wahrhaben

Man will es nicht wahrhaben

Sie sind noch keine 20 Jahre alt und haben sich trotzdem intensiv mit dem Thema "Demenz" beschäftigt: Vier Schülerinnen des Beruflichen Gymnasiums Gesundheit und Pflege an den BBS Rinteln hielten im Seniorenheim an der Landgrafenstr. einen Vortrag mit vielen Tipps für Angehörige. Dazu hatten sie vorher Fragebögen verteilt und dannn ausgewertet. Schon vor Vortragsbeginn war aus den Gesprächen in der kleine Zuhörerschaft das Hauptproblem von Angehörigen demenzkranker Menschen deutlich geworden - die Demenz zu akzeptieren. "Ich habe doch selbst 20 Jahre in der Altenpflege gearbeitet", sagt eine ehemalige Mitarbeiterin des Seniorenheims. "Aber als es meine eigene Familie betraf, wollte ich es einfach nicht wahrhaben."

Ein Angehöriger im Publikum berichtete, dass er sich beim Besuch seiner im Heim lebenden Frau oft mit ihr streite, weil er Angst haben, sie sei vielleicht nicht auf der Toilette gewesen. Er könne es einfach nicht lassen, obwohl sich ja eigentlich die Pflegerinnen um solche Dinge kümmern. "Wir waren 55 Jahre glücklich verheiratet und meistens war sie die Bestimmerin. Ich schaffe es nicht, ruhig mit anzusehen, was sie alles nicht mehr kann." Caro Wendt, Judith Kluwe, Marie Ober und Katharina Kosberg aus der zwölften Jahrgangsstufe des Bereichs "Gesundheit und Pflege" wussten, dass die meisten Betroffenen sich hilflos fühlen im Umgang mit den erkrankten Angehörigen. Ausführlich erklärten sie warum demenzkranke Menschen oft nicht mehr zusammenhängend sprechen könnten, sich auch in der eigenen Wohnung verirrten oder Dinge sähren, die sonst niemand sehe. Und vor allem: warum sie auf Ermahnungen, Kritik oder auch nur "vernüftige Argumentation" nicht angemessen reagieren könnten.

Die Demenz entstehe dadurch, dass die Nervenzellen des Gehirns abstürben. So sehr Angehörige sich bemühten, ein ein halbwegs normales Leben aufrechtzuerhalten und den vertrauten Menschen anzusprechen wie vor der Erkrankung, so vergeblich seien diese Bemühungen. Man müsse sich auf die Erkrankten einstellen, so die Schülerinnen und das vor allem in der Art des Kommunizierens. "Viel loben möglichst wenig kritisieren", das war einer ihrer Tipps. Vorwürfe würden die Betroffenen nur umso mehr in Angst, Frust oder sogar aggressive Reaktionen drängen. "Keine komplizierten Fragen stellen", so ein weiterer Tipp, sondern nur solche, die sich klar mit "ja" oder "nein" beantworten ließen. Und vor allem: nicht lange über ein "Richtig" oder "Falsch" diskutieren. Wenn ein erkrankter Mensch nach den längst verstorbenen Eltern suche, dann solle man ihn nicht mit einer Realität konfrontieren, die er sowieso nicht begreife, sondern stattdessen ein harmloses Gespräch über die Eltern beginnen. Der vielleicht wichtigste ihrer Hinweise: So früh wie möglich Unterstützung suchen.

Aus der Beantwortung ihrer Fragebögen für die Angehörigen der Heimbewohner ging allerdings hervor, dass viele erst sehr spät Hilfe gesucht und sich auch durch die Ärzte zu wenig informiert gefühlt hätten, selbst nach der bereits erfolgten Demenz-Diagnose. Da die Krankheit als persönliche Schwäche aufgefasst werde, falle es schwer, Eigeninitiative zu ergreifen, noch bevor alle Beteiligten nicht völlig verzweifelt seien, so auch der Tenor in der anschließenden Diskussion.

In ihrem selbstverfassten Info-Flyer listeten die Schülerinnen deshalb eine Reihe von Ansprechpartnern auf, die man auch über das Rintelner "Netzwerk Demenz" erfahren kann. Ansprechpartnerin ist das Linda Mundhenke, Telefon: (05751) 403 118

aus: Schaumburger Zeitung vom 23.05.2019

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