Mit Händen und Füßen

Sprint Dual

Zwei neue Schulklassen mit Flüchtlingen im Alter von 16 bis 21 Jahren gibt es an den Berufsbildenden Schulen (BBS) in Rinteln. Ob und wie es den jungen Leuten im fremden Land mit der fremden Sprache gelingt, hier beruflich und privat Fuß zu fassen, dem wollen wir in einer Serie mit lockeren Folgen nachgehen. Vorab sprachen wir mit Günter Potthast und Alexandra Backhaus über das sogenannte "Sprint-Projekt" und die ziemlich speziellen Heraus-forderungen für Lehrer und Schüler.

Schulklassen voller Schüler, die kein Deutsch sprechen; die oft keine Familie mehr haben; die ihr Heimatland verließen, weil das Leben dort zu schrecklich wurde. Schulklassen, die nur aus geflüchteten Jugendlichen bestehen - das ist seit 2015 eine ganz besondere Herausforderungen an den BBS Rinteln. Von außen gesehen kann man fragen: "Wie soll Unterricht da denn überhaupt funktionieren?"

Günter Potthast, stellvertretender Schulleiter der BBS, und seine Kollegin Alexandra Backhaus scheinen solche Fragen zu lieben. "Wir schwimmen alle auf der Euphoriewelle!", sagt Potthast. "Hier ist ein ganzes Team aus Lehrern und ehemaligen Lehrern, aus Sozialarbeitern, Studenten und Ausbildern - und wir werden immer besser." Sie alle arbeiten zusammen im sogenannten "Sprint Projekt", das vom Nds. Kultusministerium angeschoben wurde, um junge Flüchtlinge so zu fördern, dass sie eine Ausbildung in Deutschland beginnen können. "Sprint" bedeutet: Sprach- und Integrationsprojekt.

"Der Vorteil an unserer BBS besteht darin, dass wir von jeher geübt darin sind, auch mit Schülern umzugehen, die nicht glatt durchs System laufen", sagt Potthast, "solchen, die keinen Schulabschluss haben, oder soziale und psychische Probleme. Wir sind daran gewöhnt, unkonventionelle Lösungen zu finden." Wenn junge Menschen aus aller Welt mit ihren unterschiedlichen Hintergründen in einer Klasse sitzen und erst einmal eine gemeinsame Sprache finden müssen, oder verstehen lernen, dass man pünktlich zum Unterricht kommt oder dass Mädchen die selben Rechte haben wie Jungs, kann man nicht einfach den üblichen Unterricht geben.

Das erste Ziel besteht im Spracherwerb. Ohne das Sprint-Projekt, dass vom Land mit 50000 Euro pro Klasse gefördert wird, wäre es unmöglich gewesen, die dafür nötigen Lehrer zu finden. Nun aber können Studenten und Pensionisten dafür eingestellt werden. "Zu Anfang arbeiten wir mit Bildern, wir kommunizieren mit Händen und Füßen" sagt Alexandra Backhaus. "In den ersten Klassen blieb uns nichts anderes übrig als das "Learning by Doing". Aber auch das lief insgesamt gut, weil die meisten Schüler sehr motiviert sind und auch außerhalb des Unterrichts weiterlernen.

Der Unterricht, der sich inhaltlich zunächst auf das deutsche Alltagsleben konzentriert, wird an der BBS kombiniert mit Arbeiten in der Metall- oder Holzwerkstatt. Das dient der Vorbereitung auf Berufspraktika in Rintelner Betrieben. Nach einem  Sprint-Jahr beginnt nämlich das "Sprint-Dual-Jahr", die Einführung in das Berufs- und Arbeitsleben, in enger Zusammenarbeit mit entsprechenden Betrieben. "Und auch das läuft hier so positiv", sagt Günter Potthast. "Ich bin  Engagement der Betriebe, mit denen wir zusammenarbeiten, richtig begeistert."

Während des Betriebspraktikums unter deutschen Mitarbeitern geht es mit dem Spracherwerb noch einmal sehr voran. "Anfangs wollen viele der Flüchtlingen unbedingt studieren. In ihren Augen ist das Handwerk zunächst nicht viel wert, jedenfalls, wenn man in ihren Heimatländern dafür keine Ausbildung machen muss", so Potthast. Dann aber würden sie verstehen, wie gut ihre Chancen mit einer Lehre wirklich sind."

Von den 14 Schülern, die die erste Sprint-Dual-Klasse durchliefen, haben zwölf bis zum Ende durchgehalten. Sieben von ihnen bekommen nun einen festen Ausbildungsplatz, und drei immerhin besitzen eine gesicherte Aufenthaltsgenehmigung.

Nicht zu wissen, ob und wie lange sie überhaupt in Deutschland bleiben dürfen, ist für die Schüler natürlich eine große zusätzliche Belastung. Das gilt auch für die 28 neuen Jugendlichen, die zum allergrößten Teil aus der Elfenbeinküste stammen und gerade ins Sprint-Projekt eingestiegen sind.

"Uns Lehrern ist es egal, aus welchen Gründen jemand hier ist, wir führen keine politische Diskussion darüber", sagt Potthast. "Unser Job ist es, jeden Schüler an unserer Schule gleich zu behandeln und zu versuchen, dem Landkreis arbeitsfähige Menschen zu übergeben."

aus: Schaumburger Zeitung vom 08.09.2017 

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