Wohlbefinden, das ist der Unterschied

daenischer Austausch

Uwe Förster ist der Erste gewesen. Es liegt ein paar Jahre zurück, aber der Sozialpädagoge der Berufsbildenden Schulen (BBS) hatte damals die Möglichkeit erhalten, nach Dänemark zu reisen, um sich in Kopenhagen anzuschauen, wie Erzieher dort praktisch ausgebildet wurden. Als er wieder zurück in Rinteln war, konnte er vier Plätze für den nächsten Kopenhagen-Besuch mit Schülern besetzen, und Förster kann sich bestens erinner: "Wenn ich gefragt habe, blieben die Köpfe unten. Keiner wollte." Denn der Kopenhagen Besuch war deutlich länger als eine Stippvisite, über mehrere Wochen konnten die Schüler dort die Ausbildung der Sozialpädagogen beobachten.

Das habe sich geändert, sagt Förster: "Heute sind die Plätze begehrt." In diesem Jahr haben Vincent Hagen, Jenny-Ann Müller und Franziska Franke aus dem Fachbereich Sozialpädagogik in Kopenhagen sechs Wochen lang gelebt, gearbeitet, zugeschaut und gelernt. Ermöglicht hat dies das Erasmus-Programm, ein Förder- und Austauschprogramm der EU. Wo finden sich die Unterschiede zwischen den deutschen und dänischen Einrichtungen? Vincent Hagen muss nicht lange überlegen. Er habe vor allem in der Nachmittagsbetreuung gearbeitet, auf einem Bauspielplatz. "Die Kinder und Teenager waren im Alter von neun bis 16 Jahren." Es habe dort Tiere gegeben, um die die Kinder sich hätten kümmern und für die sie Verantwortung hätten übernehmen können. "Es wurden dort Holz-hütten gebaut, in Begleitung oder auch ohne, viel lag in der Verantwortung der Kinder", erzählt Hagen. Und wenn sie am Ende nicht alles weggeräumt und eine Holzlatte mit einem Nagel vergessen hätten, in den dann ein anderer hineingetreten sei, "dann war das eben so, dann gab es aber keinen Stress mit den Eltern." Förster kennt diesen Bauspielplatz, und er umreißt kurz den sozialen Hintergrund des Viertels, in dem er liegt: "Mitten in einem sozialen Brennpunkt, mit Flüchtlingen auf der einen Seite, eher arm, und intellektuellen Künstlern, reich, wohlhabend." Und? "Man begegnet sich so, wie man ist", sagt Förster, das sei die dänische Mentalität, offen, sprachlich und kulturell übergreifend. Diese dänische Mentalität unterscheide sich doch von der deutschen, wie Hagen an einem Beispiel erklären kann. Ein Kind saß auf einer Bank und machte: nichts. In Deutschland wäre nun der künftige Erzieher sofort auf den Sprössling zugegangen und hätte ihn aufgefordert, doch etwas zu tun, aktiv zu werden. In Kopenhaben dagegen wurde Hagen aufgefordert: "Setz dich doch daneben und mach auch mal nichts." Hagen kann isch noch heute über die Anekdote amüsieren, weil sie ihm eine unerwartete Erkenntnis bescherte: "Chillen ist Arbeit."

"Es gab", erzählt Franziska Franke, "mehr Angebote außerhalb der Schule: Kajak fahren beispielsweise, generell deutlich mehr Sport, und Ausflüge." Jenny-Ann Müller erzählt aus ihrer Zeit in einem Hort: Dort hätten die fünf- bis zwölfjährigen Kinder sehr selbstständig gehandelt. Sie seien deutlich weniger überwacht worden als in deutschen Einrichtungen, sie hätten mehr entscheiden dürfen. Die dänische Sprache kennt einen Begriff, der einen Kernbestandteil der dortigen Tradition beschreibt: Hygge. Man könnte ihn mit Wohlbefinden übersetzen, für die Lehrer aus dem Landkreis Schaumburg wurde "Hygge" zum Denkansatz, nachdem sie die Schule besichtigt und eine Lehrerin zu den Rahmenbedingungen der Ausbildung vor Ort interviewt hatten.

Die naheliegende Frage an die drei angehenden Erzieher, die sich im ersten Ausbildungsjahr befinden: Kann eine berufliche Ausbildung auch "Hygge" sein? Ja, sagen sie, und haben mit den Lehrern, die ebenfalls in Kopenhagen waren, ihre Bilanz in einer kleinen Ausstellung im Foyer der BBS zusammengetragen: Das Wohlbefinden von Schülern und auch Lehrern sei ein wichtiges Thema. Erreicht werde es durch kleinere Klassen,ein angenehmes Raumklima und Arbeiten ohne Zeitdruck. Auch Unterstützung und - nicht zu vergessen - Wertschätzung würden zum Wohlbefinden beitragen. Förster spricht von zwie spezifischen Einrichtungen mit anderen Konzepten, die die Schüler kennengelernt hätten, allein deshalb habe sich der sechswöchige Aufenthalt gelohnt. Er selbst war ebenfalls eine Woche in Kopenhagen, zusammen mit Kita-Leiterin Maren Witte aus Obernkirchen und seiner BBS Kollegin Nadine Nonnenberg, die künftig für ihn die Lernaufenhalte koordinieren wird. Er geht in den Ruhestand. Förster sieht es so: Die Fehlzeiten in Dänemark seien nicht geringer und die Abschlüsse auch nicht besser, aber dieses Wohlbefinden, das zur dänischen Kultur gehöre, das werden in die Schulen getragen - und mache dann den Unterschied aus.

aus: Schaumburger Zeitung vom 21.06.2019

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